Ich suche meinen Stamm




Die Leute meines Stammes sind leicht zu erkennen:

Sie gehen aufrecht, haben Funken in den Augen

und ein Schmunzeln auf den Lippen.

 

Sie halten sich weder für heilig noch erleuchtet.

Sie sind durch ihre eigene Hölle gegangen,

haben ihre Schatten und Dämonen angeschaut,

angenommen und offenbart.

Sie sind keine Kinder mehr,

wissen wohl was ihnen angetan worden ist,

haben ihre Scham und ihre Rage explodieren lassen

und dann die Vergangenheit abgelegt,

die Nabelschnur abgeschnitten und

die Verzeihung ausgesprochen.

 

Weil sie nichts mehr verbergen wollen,

sind sie klar und offen.

Weil sie nicht mehr verdrängen müssen,

sind sie voller Energie, Neugierde und Begeisterung.

Das Feuer brennt in ihrem Bauch!

 

Die Leute meines Stammes kennen

den wilden Mann und die wilde Frau in sich

und haben keine Angst davor.

Sie halten nichts für gegeben und selbstverständlich,

prüfen nach, machen ihre eigene Erfahrungen und

folgen ihrer eigenen Intuition.

 

Männer und Frauen meines Stammes

begegnen sich auf der gleichen Ebene,

achten und schätzen ihr “Anders”-Sein,

konfrontieren sich ohne Bosheit und lieben ohne Rückhalt.

 

Leute meines Stammes gehen oft nach innen,

um sich zu sammeln,

Kontakt mit den eigenen Wurzeln auf zu nehmen,

sich wieder finden,

falls sie sich durch den Rausch das Lebens verloren haben.

 

Und dann kehren sie gerne zu ihrem Stamm zurück,

denn sie mögen teilen und mitteilen,

geben und nehmen, schenken und beschenkt werden.

 

Sie leben Wärme, Geborgenheit und Intimität.

Getrennt fühlen sie sich nicht verloren wie kleine Kinder und können gut damit umgehen.

Sie leiden aber an Isolation und sehnen sich nach ihren Seelenbrüdern und -schwestern.

 

Die Zeit unserer Begegnung ist gekommen...

(Schamanische Weisheit)


...Ja, die Zeit unserer Begegnung ist gekommen

 

Wenn ich den Satz lese, dann regt sich etwas in meinem archaischen Zentrum, im Solarplexus oder wo auch immer meine Weisheit wohnt…

 

Wir sehnen uns alle nach unseren Stamm, unser ganzes Leben verbringen wir damit, Gleichgesinnte unseres Stammes zu suchen, zu finden, und manchmal auch wieder gehen zu lassen. Hat man einmal einen solchen Seelenverwandten getroffen und „muss“ ihn verlassen, so fühlt es sich an, als ob ein Teil von einem selbst stirbt- was er in gewisser Hinsicht auch tut. Das Gefühl jedoch, einen Stammesangehörigen „wiederzutreffen“, sich wahrhaft zu begegnen (nackt, ohne Maske, authentisch, verletzlich, ängstlich und stark), das löst einen Sturm im Inneren aus. Mir geht es zumindest so. Es ist wie ein wildes Verliebtsein, bloß intensiver, wie eine Art Orgasmus, nur noch tiefer. Es ist das pure Leben, die pure Existenz- es ist der Grund, warum wir hier sind. Um uns mit den Unserigen zu verbinden.


Das klingt sehr pathetisch und groß, aber dies hab ich mit einer unumstößlichen Gewissheit bereits im Kindesalter gefühlt- eine unglaubliche Verbindung zu den Seelenpartnern (männlicher und weiblicher, humaner und tierischer Natur). Sie sind ein Katalysator für Deine Entwicklung, sie bringen Dich an Deine Grenzen, sie sind Dir Spiegel.

Und sie sind Deine Heimat, Deine Familie. Diese tiefe Vertrautheit, dieses UR-Vertrauen, das ist wunderschön. Wir sind nicht für die Isolation geschaffen, wir sind Herdentiere.


Und wir können gemeinsam viel erreichen. Wenn wir uns zusammen tun, wenn wir nicht jeder für uns kämpfen, wenn wir GUTES erreichen wollen, dann können wir das in unserem Stamm tun. Uns verbrüdern und verschwesterm, gemeinsam für Werte einzustehen und Haltung zu zeigen. Minderheiten eine Stimme zu geben, Courage zu zeigen, nicht wegzuschauen.

 

Wir, die wir aus einem Stamm sind, müssen uns nicht mehr einsam fühlen. Wir haben keinen Grund dazu. Wir spüren des anderen Gegenwart, auch in dessen Abstinenz. Wir fühlen des anderen Schmerz, auch wenn er ihn verdrängt. Wir freuen uns mit unserem Seelenpartner, auch wenn wir nicht Teil der Freude sind.

 

Diese Gewissheit ist wunderschön. Und umhüllt mich mit Geborgenheit, auch wenn ich in manchen Momenten Einsamkeit verspüre. Aber wir müssen eben auch durch unsere Schatten und Höllen gehen, um wieder das Licht zu sehen.

 

Schön, dass es Euch gibt!

 

Schamanische Grüße,

 

Jamila (Danke an Dunja für die Inspiration)


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Kommentare: 4
  • #1

    Sabine (Montag, 15 Juni 2015 11:37)

    Liebe Mila! Großartiger Text und sehr ansprechend!
    Danke dafür. Schön, dass es uns, schön, dass es dich gibt :-)
    Von Herzen,
    Sabine
    vielfältig lebensfroh :-)

  • #2

    Nine (Sonntag, 28 Juni 2015 10:10)

    Sehr inspirierend, liebe Mila. Danke, für diese Veröffentlichung. Ich lass` den Text noch ein wenig wirken, werde aber mit Sicherheit einiges in mir weiter tragen und weiter geben!

  • #3

    Monika (Montag, 29 Juni 2015 22:29)

    Oh Mila, was für ein wunderschöner Text, und wie passend zu der Situation, in der wir uns befinden.
    Es ist schön, Teil der Herde zu sein.
    Danke dir!

  • #4

    Ilmak (Sonntag, 28 Juni 2020 14:03)

    Meine Oma und Opa kommen aus der Türkei