Wenn Missbrauch Dein Lebensbegleiter ist…


Wurdest Du schon missbraucht? Sexuell, emotional, physisch, psychisch? Kannst Du dich davon komplett freisprechen? Oder verdrängst Du den Missbrauch in Deiner Kindheit, Jugend, Deinem Erwachsenenalter? 

Wo fängt Missbrauch an, wo hört er auf? Eine schwierige Frage, die ich weder wissenschaftlich noch psychologisch beantworten kann. Ich kann nur meine Meinung dazu äußern. 

 

Für mich fängt Missbrauch an, wenn Dir als Kind, Jugendlicher oder Erwachsener Dinge aufgezwungen wurden, die Du nicht wolltest, die Dich in Deiner Freiheit beraubt haben, die dich zu etwas genötigt haben. Als Kind ist das besonders dramatisch, weil Du Dich nicht wehren konntest. Psychischer sexueller Missbrauch fängt nicht erst bei einer Vergewaltigung an. Missbrauch fängt viel früher an und ist viel subtiler. In der Psyche, in der Seele. Wenn Dein Vater Anspielungen macht und Du spürst, dass es nicht ok ist, was er sagt- vertrau darauf, es ist richtig. Wenn Deine Mutter Dich zu Sachen zwingt, die eine heftige Abwehr hervorrufen, weil Du spürst, dass sie das nicht darf- vertrau darauf, es ist richtig. Wenn Dein Bruder sich Dir annähert und Dein ganzer Körper rebelliert dagegen- vertrau darauf, es ist richtig. Wenn Dein Mann nachts über Dich herfällt, obwohl Du „Nein“ gesagt hast- vertrau darauf, es ist richtig. 

 

Nimm den Ekel, den Hass, den Abscheu wahr. Die Wut. Die Trauer. Die Einsamkeit. Die Gefühle, die Du als Kind empfunden hast- sie waren und sind richtig. Die Reaktionen, die Du gespürt hast und vielleicht sogar jetzt als Erwachsene hochkommen, sie haben ihre Berechtigung und möchten Dir etwas sagen. Vielleicht hast Du dich nie als „missbraucht“ angesehen. Vielleicht hast Du innerlich die Reaktionen Deiner Eltern, Tanten, Onkels, Cousins, Lehrer etc. verteidigt, weil Du abhängig und hilflos warst. Aber ein Kind SPÜRT, wenn etwas falsch ist und wenn sich etwas nicht richtig anfühlt. Die Seele reagiert extrem sensibel auf Überschreitungen und sendet Signale, damit Du sie wahrnimmst. Du konntest als Kind nicht anders reagieren als ängstlich, verschreckt, wütend, rebellisch oder abwehrend. Du hast es genau richtig so gemacht, wie Du es gemacht hast. 

 

Und wie ist es jetzt? Merkst Du manchmal, dass Gefühle, die Du als deplazierst erachtest, auf einmal hochkommen, in Situationen, die scheinbar nichts mit dem Missbrauch von früher zu tun hatten? Und was wäre, wenn doch? Was wäre, wenn Du jetzt dafür bereit bist, Dir diesen Missbrauch anzuschauen und aufzuarbeiten? Nimm alle Gefühle wahr und verurteile sie nicht. Manchmal ist es schmerzhaft, oft nicht schön, das zu fühlen, was man als Kind verdrängt hat.

 

Wenn Du merkst, dass es Dich überkommt, wenn Du nicht mehr weiter weißt- dann such einen Therapeuten auf, nimm professionelle Hilfe in Anspruch. Vertraue Dich Freunden an. Du bist nicht alleine. Leider haben es viele mitgemacht. Und wenn Du zulässt, darüber zu sprechen und Dich zu öffnen, wirst Du sehen, wie viel Zuspruch und Hilfe Du bekommst. Das, was Du damals so dringend benötigt hättest. Lass nicht zu, dass der Missbrauch Dein Lebensbegleiter wird. Mach Schluss, Du brauchst ihn nicht mehr. Du bist stark genug, sonst wärst Du nicht so weit gekommen…



Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Johanna Ringe (Donnerstag, 11 Februar 2016 11:52)

    Jamila,
    Sehr wichtiges Thema, sehr gut geschrieben!
    Ich kenne keine einzige Frau, die nicht in irgendeiner Form Missbrauch erlebt hat. Keine einzige.
    Das betrifft uns alle, und jeder Mensch kennt Grenzüberschreitungen... kein Ort für Scham, sondern für Aufmerksamkeit, Selbstannahme und Wachstum.
    Danke!
    Johanna