Drache der Angst

Der Drache speit Feuer, das mich verbrennt. Manchmal spüre ich nur seinen Atemhauch, die Andeutung des Schmerzes. Manchmal verbrennt mich sein Feuer. Er hat schon viele Narben und Brandmale hinterlassen. Der Drache aber ist immer bei mir und lehrt mich das Fürchten. Ich habe Angst, Todesangst vor ihm.

 

Er ist furchterregend, dämonisch mit roten Augen, unberechenbar und hat eine immense Kraft. Andererseits zieht er mich in seinen Bann. Es gibt etwas an ihm und in ihm, das mich magisch anzieht, mich fasziniert. Deswegen setze ich mich ihm immer wieder aus. 

 

Er kommt oft dann, wenn ich mich unsicher fühle- er riecht meinen Angstschweiss. Er riecht die Angst vor der Angst, spürt die Wellen, die mich überrollen- oft morgens früh, wenn mich das Grauen packt. Wenn ich aus der Traumwelt erwache, dann spüre ich seinen heißen Atem in meinem Nacken. Mein Körper reagiert mit jeder Faser meines Seins. Ich versuche, mich nicht zu rühren und erstarre- vielleicht über-riecht er mich, wenn ich mich tot stelle? Vielleicht, nur dieses eine Mal, lässt er mich in Ruhe und fliegt wieder davon, in die Angst-Welt, die mich seit Kindheit begleitet. Die Welt, in der das Universum schwarz ist, es keinen Gott gibt, in der Leichenteile umherschwirren, in dem es nur tote Seelen gibt und keine Augen. Es gibt keine Augen mehr in diesem Land der sterbenden Sterne. 

 

Aber, ich irre. Und doch ist da, eines Tages, die leise Ahnung, ein kleiner Schauer und ich bewege mich, zufällig-ungewollt, anders als bisher, auf ihn zu. Und der Drache reagiert auf einmal unsicher, fast schon ängstlich. Sag, kann es sein, dass selbst der Drache der Angst Angst hat? Ich zögere. Etwas in mir sagt mir: da musst Du hin, in seine Richtung. Und ich nehme all meinen MUT und strecke ihm meine Hand hin. Berühre vorsichtig seine Haut, sie ist so weich und glatt, gar nicht ruppig wie erwartet. Und auf einmal passiert das Wunder- der Drache streckt mir vorsichtig seinen feuerroten Kopf entgegen, demütig und unterwürfig, damit ich ihn auch dort sanft berühren kann. Es ist eine magische Begegnung. So voller Innigkeit, Verbundenheit und Liebe. Ich bin benommen. Trunken.Berührt. 

 

Und als der Drache auf einmal vorsichtig etwas zur Seite rückt, traue ich meinen Augen kaum. Denn dort, an dem Platz, liegt ein wunderschönes Ei. Es ist bestückt mit Diamanten, mit Perlen und bemalt in den schönsten Farben und Ornamenten. Noch nie, niemals, sah ich ein solch wunderschönes Ei. Es verzaubert mich, es umgarnt mich. Es geht eine seltene Strahlkraft von ihm aus, die mich in ihren Bann zog. 

 

Und als der Drache mich mit seinen (wunderschönen) Augen auffordert, das Ei anzufassen, geschieht das Wunder: es bricht die Schale auf, die Diamanten und Perlen fallen auf den Boden und ein kleiner Baby-Drache schlüpft heraus. Und in seinen Flügeln hält er einen Spiegel. Und als ich in den Spiegel schaue, sehe ich, was ich all die Jahre nicht sah, nicht sehen konnte. Und ich weinte. Weinte Flüsse. (Lloré ríos). Und ich weiss nicht, wohin mit dem Schmerz. Der Baby-Drache und seine Mutter bleiben indes die ganze Zeit bei mir, sie berühren mich nicht, aber schützen mich mit ihrer Kraft und ihrem Feuer. Und als ich durch den Schmerz gehe, transformiert sich etwas in mir. Setzt sich neu zusammen. Wird ein neues, altes Ganzes erschaffen. 

 

Fortan ist der Drache mein bester Freund. 

 

Unsere größten Ängste sind die Drachen, 
die unsere tiefsten Schätze bewahren. 

Rainer Maria Rilke 

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